Kolumnen / Autorenleben

Zu glücklich und zu traurig

Standard, 4. Februar 2016, Tasmetu,8764 Views6 Comments

Das Leben ist eine Achterbahnfahrt. Und manchmal habe ich das Gefühl, dass es nur noch nach oben oder unten geht, es gibt nichts mehr dazwischen. 

Ich lasse mich in den Sessel fallen und atme den Geruch des Kaffees ein, der das Café erfüllt. Mein Kumpel setzt sich mir gegenüber, trinkt einen Schluck von seiner heißen Schokolade. Wir genießen einen Moment die gemeinsame Stille, die ein lang ersehntes Wiedersehen mit guten Freunden mit sich bringt.

„Und? Wie geht’s dir so?“

„Joa, passt schon und dir?“

„Passt schon? Erzähl, was ist los?“

„Nichts. Es ist alles in Ordnung.“

„Ach, jetzt sag schon!“

Wer kennt diese Unterhaltung nicht? Ich führe sie fast jedes Mal, wenn ich mit meinen Freunden Kontakt habe. Entweder bin ich diejenige die nachhakt, oder ich bin diejenige, der das „passt schon“ nicht abgenommen wird.

Und klar, oft ist es auch nur eine Floskel um nicht über Dinge reden zu müssen, über die man gerade nicht so gern reden möchte. Aber oft ist auch einfach alles in Ordnung. Die Welt ist nicht besonders gut und auch nicht besonders schlecht. Alles ist okay.

Darf man sich heutzutage noch okay fühlen?

Entweder du bist glücklich oder depressiv. Entweder alles ist scheiße oder es könnte nicht besser sein. Dieses Schwarzweiß Denken hat sich in unseren Köpfen (und ich nehme meinen Kopf davon nicht aus) eingenistet.
Ein „passt schon“ zählt nicht mehr. Da muss doch noch mehr dahinterstecken. Die Sensationsgeilheit treibt uns an. Da muss doch irgendetwas passiert sein, egal ob positiv oder negativ, aber irgendeine Geschichte wird es schon geben. Vielleicht ist der Hund gestorben? Oder es gibt eine neue Beziehung? Vielleicht gibt es gerade Rosenkrieg? Oder der Traumjob ist endlich in Sicht?

Natürlich will ich alles von meinen Freunden wissen. Und ja, manchmal muss man ihnen die Neuigkeiten auch aus der Nase ziehen. Aber kann ein „okay“ nicht einfach mal „okay“ bleiben? Muss es immer gut oder immer schlecht sein?

Der Graubereich zwischen gut und schlecht macht uns nervös.

Die Medien haben uns geprägt. Und auch unsere virtuelle, zweite Persönlichkeit – mit der wir meist nur die großen Ereignisse teilen oder zumindest so tun, als würden wir große Ereignisse erleben um mehr  Aufmerksamkeit, mehr Likes, mehr Follower zu bekommen, trägt ihren Teil dazu dabei. Ein okayes Bild auf Instagram kann man nicht liken, man kann aber auch nicht sagen „Meine Güte, ist das hässlich.“ Einen okayen Tweet liest man, aber man reagiert nicht darauf. Durch WhatsApp, Twitter und Co bekommen wir so viel Input, dass wir nur noch auf die Extreme reagieren.

Wir haben verlernt, wie man auf okaye Launen und mittelwichtige Ereignisse reagiert. Was sagt man darauf? Man kann nicht in die Luft springen und sich freuen, man kann aber auch nicht voller Mitleid Ratschläge erteilen. Wir wissen nicht, was wir tun sollen, also sind wir nervös. Und damit niemand merkt, dass wir uns unwohl fühlen, fragen wir die andere Person so lange, bis irgendetwas ans Licht kommt, worüber man sich ausgiebig unterhalten kann.

Zu glücklich. Zu traurig. Es ist beides falsch und trotzdem richtig.

Dieser Artikel hat mir zu denken gegeben. Er ist vielleicht nicht wissenschaftlich, aber er hat eine klare Aussage: Auch positives Denken kann krank machen wenn man es übertreibt. Ich, die mit Projekt 2016 versucht vom negativen Denken abzukommen, hatte nach diesem Artikel viel zum Nachdenken. Nein, ich denke ich nicht krankhaft positiv, aber ich sollte auch endlich mal akzeptieren, dass es vollkommen okay ist, sich mal schlecht zu fühlen. Und das eine okaye Laune, die weder gut noch schlecht ist, auch in Ordnung ist. Ich muss nicht schwarz oder weiß sein, ich darf auch mal grau sein. Es muss nicht immer etwas los sein. Und das gilt auch für meine Freunde. Ist okay, sich okay zu fühlen.

Die Medien unterstützen uns in unserer Scheinwelt. Jeder Promi, der mal einen schlechten Tag hat, wird gleich als depressiv gezeichnet. Obwohl Depression eine schwerwiegende Krankheit ist die nichts mit „hat mal schlechte Laune“ zu tun hat. Und auf der nächsten Seite steht dann ein riesiger Artikel „So machen Sie ihr Leben besser! Kaufen Sie dies und das und schon werden Sie für immer glücklich sein! Einfach lächeln! Positiv denken! Und schon ist die Welt in Ordnung!“

Ich will nichts verdrängen, wie das der Artikel suggeriert. Ich will nur weniger schwarz sehen. Aber deshalb ist die Welt noch lange nicht rosarot (stellt euch das mal vor. Eine rosarote Welt. Oh Gott.) und super toll. Mal ist sie besser und mal ist sie schlechter und manchmal ist sie eben einfach „nur“ okay.

Wir müssen wieder lernen zu akzeptieren, dass ein Mittelmaß auch in Ordnung ist. Dass wir nicht immer wissen müssen, wie man reagiert. Dass wir nicht immer nachfragen müssen. Dass nicht immer alles toll oder scheiße sein muss. Dass es manchmal einfach passt, nicht mehr und nicht weniger. Und dass das nichts schlechtes ist. Bei unseren Freunden, aber vor allem auch in unserem eigenen Leben.

Tief durchatmen. Und es einfach akzeptieren.

Es macht euch nicht zu einer besseren Person, wenn ihr eure Laune klar definieren könnt. Akzeptiert euch so wie ihr seid. Denn egal wie ihr euch fühlt, ihr seid großartig.

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6 Kommentare

  • Antworten Fraencis Daencis 4. Februar 2016 um 15:40

    Liebe Tasmin,

    wieder einmal hast du eine wunderbare Kolumne geschrieben und sprichst mir mit deinen Worten aus der Seele. Man darf sich auch einfach mal nur okay fühlen. Nicht grandios, nicht super mies, einfach okay eben. Danke für diese kleine, aber sehr feine Erinnerung!

    Liebe Grüße,
    Fraencis

    • Antworten Tasmetu 8. Februar 2016 um 22:59

      Danke es freut mich immer riesig wenn ich so positives Feedback bekomme :) <3

  • Antworten Jana 4. Februar 2016 um 19:28

    Sehr interessanter Text! Super geschrieben und ich stimme dir voll und ganz zu. Klar fragt man selbst auch immer nach, was grade nicht perfekt ist sondern nur okay… Aber vielleicht sollte man das fragen und dazu noch: was ist dann gut? Denn generell schlecht gehts einem bei okay ja nicht ;) So sieht man beide Seiten und kann das Okay auch nachvollziehen :)
    Beim nächsten Mal drauf achten :D
    <3

  • Antworten anneli 5. Februar 2016 um 0:08

    Liebe Tasmin,

    super geschrieben!

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