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Euphoria | Rezension

Standard, 26. Dezember 2016, Tasmetu,5841 Views2 Comments
Euphoria Published by C. H. Beck Genres: Belletristik
Pages: 262
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„Was ist der Sinn darin, dass irgendwer nach Antworten sucht? Die Wahrheit, die ein Mensch entdeckt, wird immer von der eines anderen abgelöst werden.“

Euphoria Published by C. H. Beck Genres: Belletristik
Pages: 262
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Die Autorin:

Lily King wurde 1962 geboren, studierte Englische Literatur und Creative Writing in North Carolina. Sie lebt mit ihrem Mann und ihren Töchtern in Maine und widmet sich dort dem Schreiben.

Die Story:

Als Lily King ein Buch über die Ethnologin Magaret Mead las, musste sie ein Buch über diese faszinierende Frau schreiben. Sie recherchierte viel und erschuf eine fiktive Neuerzählung von Magarets Zeit in Neuguinea. In diesem Buch geht es um Nell Stone, die mit ihrem Mann Fen auf Forschungsreise ist und dort auf Andrew Bankson trifft. Neben all den Erfahrungen und Entbehrungen, die solch eine Forschung mit sich bringt, wird auch die erotische Spannung zwischen Nell und Bankson immer stärker.

Meine Meinung:

Disclaimer: Bevor ich mit meiner Buchbewertung loslege, muss ich hier kurz klarstellen, dass ich selbst Ethnologie studiere und deshalb eventuell einen etwas anderen Blickwinkel auf diese Geschichte habe als ein Laie, der vielleicht vorher nicht einmal wusste, was Ethnologie ist. Außerdem habe ich ein Thesenpapier zu dem Buch erstellt, was meinen fachinternen Blick auf das Buch noch verstärkt. 

Es fällt mir außerordentlich schwer, dieses Buch zu bewerten und zu rezensieren. Denn es hatte einige gute Elemente und einiges, das mich sehr gestört hat. Fangen wir mit den guten Aspekten an: Mir hat der Schreibstil recht gut gefallen und das Buch hat mich definitiv unterhalten, ich flog nur so durch die Seiten und konnte in das Geschehen abtauchen. Auch wirkte es auf den ersten Blick authentisch, was mir hier sehr wichtig war, da ich sehr hohe Erwartungen an das Buch hatte. Es macht eine breite Leserschaft auf das Fach der Ethnologie, deren Arbeit und auf eine ihrer Ikonen, Magaret Mead, aufmerksam und zeigt ihnen auf eine spannende Art etwas von dieser so unbekannten Wissenschaft.
Auch werden einige Themen angesprochen, die auch in der Ethnologie selbst mehr diskutiert werden sollten und die unsere Disziplin beschäftigen. So vor allem die Sexualität während Forschungsreisen, die Einsamkeit im Feld oder die Selbstzweifel der Forscher und die Frage, wie man anderen die eigene Arbeit näher bringen kann.

Aber stellenweise störte mich auch genau das. Ich habe versucht, mich in einen Leser hinein zu versetzen, der vorher noch nie etwas von Ethnologie gehört hat. Ich wäre vermutlich stellenweise – insbesondere am Anfang – sehr verwirrt gewesen, hätte mich gefragt wer denn „Papa Boas“ ist und warum es den Anschein erweckt, dass alle Forscher irgendwie mal miteinander geschlafen zu haben scheinen.  Ich hätte mich gefragt, was zur Hölle die „Forscher“ da tun und wieso sie sich so arrogant über die „primitiven Völker“, wie King sie hier noch in der alten, mittlerweile unüblichen Sprache, bezeichnet, hinwegsetzen. Wieso plötzlich mitten in der Geschichte die Information vorkommt, dass eine andere Forscherin (die weder davor noch danach eine Rolle spielt), angeblich von einem kannibalischen Stamm gegessen worden sein soll. Ich hätte vermutlich eine ganze Menge Dinge falsch verstanden, denn: Diese Geschichte spiegelt in keiner Weise die zeitgemäße Ethnologie wieder. 
Leider wird in meinen Augen nicht deutlich genug erwähnt, dass sich die Disziplin nach 1930 (die Zeit Magaret Meads, also dieses Buches) massiv weiterentwickelt hat. Dass wir extrem viel selbst reflektieren und niemandem mehr als „primitiv“ bezeichnen würden und uns nicht mehr anmaßen besser zu sein als die anderen. Oder, wie der unglaublich unsympathische Charakter Fen, einfach heilige Gegenstände eines Volkes klauen und dafür nicht nur, ohne mit der Wimper zu zucken, ein Menschenleben opfern, sondern auch einen Krieg zwischen zwei Stämmen provozieren würden. 1930 war noch die Zeit des Kolonialismus und es schüttelt mich, wenn ich daran denke, dass Laien dieses Buch lesen und denken könnten, dass die Ethnologie immer noch genau das ist, was hier präsentiert wird. Denn das ist nicht der Fall.

Ein weiterer Aspekt, der mich stirnrunzelnd zurücklässt, ist die Darstellung der Sexualität. Ich weiß, dass diese Geschichte fiktiv ist und dass Magaret Mead die perfekte Vorlage für polygame Sexfantasien im Regenwald abgibt, aber es war mir wirklich zu viel des Guten. Denn irgendwie scheint es, als würde Mead (im Buch: Nell Stone) sich durch die gesamte Forschungsszene huren und als hätte jeder Ethnologe mal mit jedem Kollegen was gehabt, was an den Haaren herbeigezogen ist. So habe ich z.B. auch nicht verstanden, was Bett in dieser Geschichte zu suchen hatte. Sie spielt überhaupt keine Rolle, außer dass Bankson einmal kurz zu ihr fährt, sie vögelt und wieder abreist?
Viel schwerwiegender war dagegen für mich, dass es hier um Magaret Mead, die Vorlage für Nell, ging. Eine Frau, die die Ethnologie und die Themen Sexualität und Frauen in anderen Kulturen revolutioniert hat. Sie soll die Hauptprotagonistin sein, das Buch ist aber nicht einmal aus ihrer Sicht geschrieben. Hier und da blitzt zwar etwas von diesem revolutionären Ansatz und der Relevanz weiblicher, sexueller Bedürfnisse durch, aber im Endeffekt ist dieses Buch voller Penisse (gefühlt jedes 5. Wort war Penis, Phallus, o.ä.) und männlicher Lust. Es geht um Fen, der seine Frau schwängern will und mit ihr Sex hat, auch wenn sie keine Lust hat. Es geht um Fen und seine unfassbare Männlichkeit und es geht um Bankson, der eigentlich einfach nur krass untervögelt ist und der Nell unbedingt mal rannehmen möchte. Es soll eine erotische Liebesgeschichte sein, aber es las sich eher wie der animalische Trieb sehr einsamer Menschen.
King arbeitet hier auch mit sehr vielen Klischees: Fen, der in dem Stamm zu einem Mann mutiert, wie er im Klischee-Buche steht: Er betätigt sich viel körperlich, denkt nicht nach, ist grob zu seiner Frau, denkt andauernd an Sex, sieht nie die Schuld bei sich, geht vollkommen darin auf nackt durch den Wald zu laufen, sich nicht zu waschen und zu beweisen wie männlich er doch ist. Nell Stone dagegen ist einfühlsam, ruhig, besonnen und als sie abreisen müssen, weint sie weil die Dorfbewohner ihre Freunde geworden sind. Und Bankson, der zwar bodenständig und nachdenklich ist, aber eigentlich auch nur von seinem Penis gesteuert wird wie von einer Wünschelrute und der natürlich gegen den starken, starken Fen nicht ankommt, Es mag sein, dass solche Charakterzüge oft im Feld verstärkt werden, weil auch die Umstände dieses Verhalten manchmal herausfordern, aber ich fand es abgedroschen und die Feministin in mir knurrte zwischenzeitlich die Seiten an.

Und der letzte Punkt, den ich kritisieren möchte ist die Zweidimensionalität der Charaktere. Sie waren alle ziemlich flach und auf ihre Arbeit und ihre Triebe reduziert. Sex und Arbeit schienen das Einzige, was diese Menschen ausmachte und so spannend das auch stellenweise war, hätte ich mir einfach noch mehr Leben gewünscht. Mehr Dimensionen, mehr Komplexität der Charaktere und ihrer Geschichte.

Das Buch lässt mich also mit sehr gemischten Gefühlen zurück. Es war wundervoll, die Ethnologie mit so viel Hingabe in einem belletristischen Bestseller portraitiert zu sehen und die Liebe der Forscher für ihre eigene Arbeit zu spüren, aber die nicht mehr zeitgemäße Repräsentation der Wissenschaft, die flachen Charaktere und die klischeeüberladene, sehr männliche Darstellung der Sexualität, machten mir dieses Buch leider ziemlich kaputt, weshalb ich es nur bedingt und an sehr kritische Leser weiterempfehlen kann.

 

Anmerkung: Wer wirklich etwas von Ethnologie und ethnologischer Arbeit wissen möchte, sollte sich vielleicht lieber Berichten von Ethnologen selbst zuwenden. Ich plane, in Zukunft mehr ethnologischer Romane oder Forschungsberichte zu lesen, damit ich euch auf dem Blog auch mal explizit Texte und Bücher empfehlen kann. 

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Nächstes Buch: Die Physik der Schwermut – Georgi Gospodinov

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2 Kommentare

  • Antworten monerl 11. Januar 2019 um 16:06

    Hey,
    ich habe das Buch soeben beendet und suche für meine Rezension verschiedene Meinungen, die ich verlinken möchte. So bin ich über deine gestolpert.
    Sehr spannend, dass du Ethnologie studierst! Da passt das Buch ja wie die Faust aufs Auge! :-D Ich habe deine Rezi gern gelesen, kann aber nicht alle Ausführungen bzgl. deiner Kritik nachvollziehen. Ich habe das Gefühl, dass du die Geschichte (wahrscheinlich durch deine berufliche Brille) zu streng bewertest.
    Für mich war klar, dass das Buch die Forschung aus der Zeit von 1930 darstellt und dass sich das alles im Laufe der Zeit (bis heute) verändert hat. Dass Sex eine so große Rolle spielt, finde ich jetzt auch nicht abwegig. Das ist ein wichtiger Punkt, insbesondere bei Vökern, die sehr naturnah leben. Fortpflanzung und die Stammeserhaltung muss da einen großen Stellenwert einnehmen. Ich habe zu keinem Zeitpunkt des Buches gedacht, dass Nell sich durch die „Szene“ gepoppt hätte. Sehr spannend, dass das bei dir so angekommen ist. Darüber habe ich noch ein bisschen nachgedacht, warum wir das so unterschiedlich wahrgenommen haben.
    Lily King hat doch zum dem groben und triebgesteuerten Fen doch einen männlichen Gegenpol mit Andrew geschaffen. Ihn habe ich nämlich gar nicht als triebgesteuert empfunden. Er reagiert sehr sensibel auf Nell, er hat sich einfach richtig verliebt. Ihn hat es erwischt! Dass er dabei auch an Sex denkt, finde ich jetzt nich unnormal. Und von der Autorin übertrieben ausgweitet finde ich es auch nicht. Für mich passte es gut.
    Das Buch hat ja nicht unbedingt viele Seiten. Da war kein Platz mehr für mehr Leben und Handlung.

    Hat mir Spaß gemacht, mich intensiv mit unseren Meinungen auseinandersetzten zu können. :-) Danke für deine interessante Rezension!
    GlG, monerl

  • Antworten [Buchvorstellung] Euphoria – LILY KING - MonerlS-bunte-Welt 11. Januar 2019 um 16:46

    […] +/- Tasmetu […]

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