Featured Kolumnen / Autorenleben

Recherche und Selbstzweifel | #Autorenleben

Standard, 22. September 2016, Tasmetu,9928 Views7 Comments

Lange ist es her, dass ich tatsächlich mal wieder einen ganzen Blogpost dem Schreiben gewidmet habe. Ich mache meine Schreibvlogs auf YouTube, aber hier auf dem Blog erwähne ich es nur in den Monatsrückblicken. Also lasst uns das ändern. Denn es gibt etwas, das ich euch fragen möchte.

Woran ich arbeite

Um euch auf den aktuellen Stand zu bringen: Die ersten 2 Bände meiner Urban Fantasy Trilogie Avaly 1 & 2 sind abgeschlossen, letzteres ist bei des Testlesern und soll bald noch einmal überarbeitet werden. Auch Avaly 1 hat eine neue Testleserin und darf nochmal bearbeitet werden. Danach geht es vielleicht hoffentlich wieder auf die Reise zu Verlagen, mal sehen. Außerdem habe ich die letzten Monate intensiv an #ProjektTS gearbeitet, auch ein Fantasy Projekt, welches aber deutlich kürzer und ganz anders als Avaly ist. Aber heute möchte ich über ein neues Projekt sprechen, das ich diese Woche angefangen habe zu plotten und dieses Jahr noch (zumindest zum größten Teil) schreiben möchte. Es handelt sich um ein Belletristik-Projekt zum Thema Menschenhandel.

Recherche zum Thema Menschenhandel

Für dieses Projekt betreibe ich momentan sehr viel Recherche. Ich möchte es richtig machen. Es ist ein sensibles Thema, welches Feingefühl erfordert und dessen bin ich mir bewusst.
Ich strebe nicht an, ein allumfassendes Sachbuch zu schreiben, sondern nur die Geschichte einer (fiktiven) Person. Aber manchmal ist das sogar schwerer, als kalte harte Fakten aufzubereiten und zusammenzufassen.  Außerdem ist es mein erstes belletristisches Projekt, was für mich genauso aufregend ist wie dieses wichtige und spannende Thema, das ihm zu Grunde liegt.
Neben mir liegt ein fetter Stapel mit Büchern: Sie sind teilweise gekauft und teilweise geliehen. Es sind Erfahrungsberichte und Sachbücher, auf deutsch und auf englisch. Auf meinem Computer warten einige Fachtexte auf englisch darauf, von mir studiert zu werden. Und diese Woche werde ich einen Tag in einem Lesesaal verbringen um dort ein Buch zu lesen, welches ich nicht leihen oder kaufen kann. Ich habe eine Freundin, die bei Amnesty International ist, beauftragt mir Infos zu verschaffen. Eine Liste mit Webseiten von Organisationen liegt bereit und auch auf YouTube und TED habe ich einige Videos, die ich ansehen will. Das ist alles Teil meiner Recherche. Für einen Roman.
Ich tue mich schwer mit so einer Art von Recherche. Ich bin manchmal ziemlich sprunghaft in meinen Interessen und ich werde mich die nächsten Wochen und Monate neben meinem Studium fast ausschließlich mit Menschenhandel beschäftigen. Das bedeutet: Nur noch Sachbücher. Meh. Da es auch noch ein ziemlich schwieriges Thema ist, was nicht immer einfach zu verdauen ist, wird es doppelt anstrengend. Aber es ist notwendig. Ich muss mich so gut es irgendwie geht informieren, um mich selbst abzusichern und keinen Mist zu schreiben.
Ich muss differenzieren: Was ist meine persönliche Meinung und was die etwas objektivere aber dafür realistischere? Was ist für das Buch relevant? Wie könnte ich welche Information in die Geschichte einbauen ohne sie mit Fakten zu überladen? Wie kann ich die Opfer mit meinem Text als die starken Menschen darstellen, die sie sind? Wie kann ich sie repräsentieren, damit sie sich selbst wieder erkennen? Denn, hier kommt die nächste große Frage:

Selbstzweifel – darf ich das überhaupt?

Ich bin eine weiße, heterosexuelle, privilegierte Frau aus Europa. Und ich bin mir dessen sehr bewusst. Ich mag vielleicht nicht zur Oberschicht gehören, aber es geht mir gut. Ich erfahre wenig bis keine Diskriminierung, laut den Rechten meines Landes bin ich gleichberechtigt und frei. Die Hauptperson meines Buches wird aber dunkelhäutig sein und in ihrem Land keine Rechte haben und, als Sklavin, auch nicht frei sein.
Ja, ich recherchiere wie blöd. Aber gibt mir das das Recht – oder auch nur die Fähigkeit – dieses Leid in eine Geschichte zu packen? Ich weiß, dass ich diese Story unbedingt schreiben möchte. Sie ist mir sehr wichtig und ich möchte damit auf die moderne Sklaverei aufmerksam machen. Aber… darf ich das überhaupt? Darf ich – als die weiße, privilegierte Heterofrau aus Deutschland – überhaupt eine Geschichte über eine Sklavin und ihr Leid schreiben, obwohl ich selbst nie versklavt wurde und wohl auch nie werde? Obwohl ich für immer weiße Haut haben werde und es deshalb von Geburt an leichter hatte? Obwohl ich dieses Leid und den Schmerz nie selbst empfunden habe? Obwohl meine einzigen Referenzen Erfahrungsberichte, Zahlen und Sachbücher sind? Obwohl mich wohl nie jemand so behandeln wird, wie diese 27 Millionen Sklaven behandelt werden? Obwohl ich, wenn ich bei H&M ein billiges T-Shirt kaufe, weil ich mir sonst nichts leisten kann, mich eigentlich selbst schuldig mache und dieses System damit indirekt unterstütze?

Diese Frage nagt ununterbrochen an mir. Denn ich werde es ohnehin niemandem recht machen können: Schreibe ich nur über Leute wie mich, bin ich zu einseitig und deshalb böse (zumal ich gerne so viel Vielfalt und Gesellschaftskritik in meine Bücher bringe, wie es mir im Rahmen der Unterhaltung und Fiktion der jeweiligen Geschichte möglich ist – das ist mein persönlicher Anspruch). Schreibe ich aber aus der Sicht einer Minderheit (in diesem Fall eine afrikanische Sklavin), habe ich ja eigentlich gar keine Ahnung.
Ich habe unglaubliche Angst davor, dass meine mir anerzogene, eurozentristische Denkweiße diese Geschichte beeinflusst. Ich will in jedem Fall vermeiden, dass irgendjemand (der sich besser mit der Situation der Protagonistin auskennt) so etwas dazu sagt wie „Man merkt, dass es eine Weiße geschrieben hat.“
Natürlich wird die Geschichte nicht die Erfahrungen jedes Einzelnen widerspiegeln, das möchte ich auch gar nicht. Aber ich will es richtig machen und stolpere deshalb die ganze Zeit über die Frage, ob ich denn eigentlich das Recht dazu habe, diese Geschichte zu Papier zu bringen und vielleicht eines Tages zu veröffentlichen?

Sicherheit

Es gibt keine Antwort auf diese Frage. Aber es gibt drei Dinge, die ich mit Sicherheit weiß:
1. Ich werde so viel recherchieren, wie ich kann. Denn wenn ich meinen Horizont erweitere und das Ausmaß dieser Unmenschlichkeit sehe und vor allem verstehe, habe ich die Grundlage um die fiktive Geschichte einer Einzelnen zu schreiben.
2. Wir müssen über dieses Thema sprechen. In der Literatur, aber auch in den Medien. Egal ob das nun mein Buch oder das eines anderen ist. Die wenigen Erfahrungsberichte und Sachbücher, die es im deutschsprachigen Raum gibt, sind nicht nur zu wenig, sondern vor allem vollkommen untergegangen. Man muss hier mal ein wenig Marketingbudget in die Menschlichkeit investieren.
3. Ich werde dieses Buch schreiben. Es brennt mir auf der Seele und wenn ich es nicht tue, werde ich es auf ewig bereuen. Und ich werde mein Bestes geben, um es zu dem Buch zu machen, das ich mir wünschen würde.

Was denkt ihr darüber?

Hat man das Recht, über die Schicksalsgeschichten von Menschen zu berichten, von deren Leben man selbst weit entfernt ist? Über welches wichtige Thema fehlen euch in der Literatur noch die Bücher? Wie recherchiert ihr für Buchprojekte?

Das könnte dich auch interessieren

12 Tipps für gute Laune

15. Juni 2014

Nicht viel ist besser als nichts

15. Dezember 2016

Über Momente des Zweifelns

14. November 2014

7 Kommentare

  • Antworten H. M. Schemske 24. September 2016 um 9:57

    Tasmin, deine Recherche ist genau meine Methode. Ich habe viel mehr Material als Text. In „Dominica Investigation“ schrieb ich über Flüchtlinge aus Haiti. Und ich musste sehr differenzieren zwischen meinem Protagonisten und mir. Zu deiner Frage: „Man merkt, dass es eine Weiße geschrieben hat.“ Aber das ist doch die Wahrheit. Weil du Sympathie für deine Protagonistin hast, wird man diese auch ihr entgegenbringen. Und dir.

    • Antworten Tasmetu 25. September 2016 um 10:11

      Hey,

      danke dir für die aufbauenden Worte :)

      Liebe Grüße

  • Antworten Sarah 25. September 2016 um 9:32

    Puh, da hast du dir ein sehr schwieriges Thema ausgesucht :D

    Mal ne doofe Frage: Wäre es denn so schlimm, wenn man sagt „man merkt, dass es eine Weiße geschrieben hat“? Ich sehe es eher so, dass du eine der wenigen Weißen bist, die sich mit diesem Thema beschäftigten, ihr Bewusstsein dahingehend schulen und sich auch noch ihrer Position als „privilegierte Weiße“ bewusst sind. Das ist schon mal weitaus mehr, als viele andere tun. Und das finde ich sehr positiv. Solange du keinen Schmu schreibst (was du ja durch deine Recherche vermeiden kannst), finde ich das alles in Ordnung.

    Ich wünsche dir jedenfalls sehr viel Erfolg, weniger Zweifel und ein dickes Fell, was die Thematik angeht ;)

    Liebe Grüße,
    Sarah

    • Antworten Tasmetu 25. September 2016 um 10:17

      Liebe Sarah,

      naja ich bekomm halt mit, wie krass die Diskussion (v.a. in den USA) geführt wird. Ein Beispiel: Eine Autorin, die eigentlich für Vielfalt (v.a. bezgl Sexualität) in ihren Büchern steht, hatte immer nur weiße Charaktere und wurde dafür gehated. Andere wurden wieder beschimpft weil sie als Weiße das Leben der Schwarzen (jetzt mal simpel und politisch nicht ganz korrekt ausgedrückt, aber du verstehst was ich meine) portraitieren wollten. Und beim Diversathon, einem Readathon der sich um die Vielfalt in Büchern drehte, wurde die einzige Weiße, die den mitorganisiert, auf Twitter fertig gemacht weil ihre Fragestellungen nicht vielfältig genug waren oder nur aus der Sicht von Weißen usw. Es ist einfach ein sehr angespanntes Diskussionsfeld.
      Aber es stimmt, dass ich mir dieser Situation sehr bewusst bin und mein bestes geben werde, dieses Wissen in etwas Kreatives umzusetzen. Hoffentlich gelingt es mir auch :D
      Danke dir <3

      • Antworten Sarah 2. Oktober 2016 um 15:18

        Ah, jetzt verstehe ich besser, was du meinst. Ich bin, was das Thema angeht, auch nicht so in der Materie drin^^

        Ist schon schlimm / anstrengend, worüber sich manche aufregen… eigentlich ist es doch wirklich nur positiv, wenn man den Versuch unternimmt, sich in so ein Thema einzufühlen. und es gut fundiert präsentieren kann. Es sollte natürlich gut recherchiert sein, aber da bist du ja auf dem richtigen Weg :)

        Liebe Grüße,
        Sarah

  • Antworten DJH 7. Oktober 2016 um 10:25

    Ich überspitze die Frage mal: Darf ich in meiner privilegierten Situation so ein Buch überhaupt lesen? Kann ich mir das aus meiner „weißen“, freien Perspektive überhaupt vorstellen und mich hineinversetzen? Ist das dann nicht nur ein wertloser Versuch, dem Anschein nach Verständnis aufzubringen, das ich aufgrund meiner „Privilegien“ nie wirklich haben kann?

    Die Art der Argumentation ist die gleiche, aber hier wird besser offenbar, dass das Ziel von solchen Argumeten (wie sich aktuell immer wieder speziell in den USA aufgetischt werden) leider nicht ist, Probleme und Differenzen zu lösen, sondern diese zu erschaffen.

    Es ist natürlich richtig und auch wichtig, dass du als „weiße, privilegierte“ Autorin ein solches Thema fokussierst, gerade weil es außerhalb deines Tellerrandes liegt, außerhalb deiner Komfortzone, außerhalb deiner Lebenserfahrung. Du hast hier also eine Brückenfunktion zwischen dem Hier und dem Dort. Natürlich ist das mit erheblichem Rechercheaufwand verbunden, da du nicht auf deinen persönlichen Erfahrungsschatz zurückgreifen kannst, aber genau deshalb bekommst du ein differenziertes Bild, das du selbst in deine „beschränkte“ Lebenserfahrung eingliedern musst und das daher auch für den („weißen, privilegierten“) Leser einbinden kannst! Klar, es ist einfacher, wenn man persönliche Erfahrungen einbringen kann, wenn man einen Zeitzeugen hat – aber in der historischen Forschung täte man sich dann auch sehr schwer, einen Autoren zu finden.

    Lass dich davon also nicht verunsichern – wenn du so gut es geht recherchierst, und das so zu Papier bringst, dass es für dich selbst mitreißend ist, dann wird es das auch für andere sein. Und wer deine Arbeit an deinem äußeren misst, hat aus meiner Sicht einfach keine inhaltlichen Argumente.

    • Antworten Tasmetu 10. Oktober 2016 um 13:03

      Lieber „DJH“ (wir lassens mal bei der Abkürzung :D),
      danke für den Kommentar. :) Natürlich kann man es so sehen aber ich glaube so einfach ist es dann auch wieder nicht. Sich über etwas zu informieren, den Horizont zu erweitern und viel Wissen anzusammeln ist das eine. Aufzustehen und zu versuchen mit der Stimme der Betroffenen zu sprechen, etwas völlig anderes.
      Naja am Ende werde ich ohnehin nicht wissen wie das Buch angenommen wird, wenn ich es nicht schreibe und es einem Verlag zusagt und er mich vielleicht verlegt. Von der Idee bis zur Reaktion einer breiten Leserschaft ist es immerhin immer ein weiter Weg. Aber ich werde es schreiben, so viel steht fest. Und das ich dabei nicht alles richtig machen KANN, ist mir auch bewusst. Nicht, weil ich in einer anderen Position bin, sondern vor allem weil jeder Mensch jedes Buch anders liest und interpretiert. Das ist bei allen Büchern der Welt so – um sie sich nun um eine flüchtige Affaire unter Kollegen oder um Menschenhandel dreht.
      Danke dir für die aufbauenden Worte <3

    Verfasse einen Kommentar