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Die Reise des Ibn Fattuma | Rezension

Standard, 16. August 2016, Tasmetu,6668 Views1 Comment
Die Reise des Ibn Fattuma by Nagib Machfus
Published by Unionsverlag Genres: Belletristik
Pages: 192
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four-stars

„Leben und Tod, Traum und Wachheit – Stationen der verstörten Seele auf ihrem Weg, den sie Abschnitt um Abschnitt zurücklegen muss. Ein Weg, auf dem es Zeichen und Hinweise gibt, und dennoch tappt der Mensch in endloser Dunkelheit. Ein Weg, auf dem er sich unbeirrt an eine Hoffnung klammert, die lächelnd inmitten aller Ungewissheit neu keimt. Wonach suchst du, Reisender?“

Die Reise des Ibn Fattuma by Nagib Machfus
Published by Unionsverlag Genres: Belletristik
Pages: 192
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Der Autor:

Nagib Machfus, oder Nagib Mahfouz (es gibt unterschiedliche Schreibweisen seines Namens) war ein berühmter ägyptischer Autor, der 1911 in Kairo geboren wurde. Er hinterließ ein beeindruckendes Lebenswerk und erhielt den Nobelpreis für Literatur. Er starb 2006 in seiner Heimatstadt.

Die Story:

Ibn Fattuma schließt sich einer Karawane an, um fremde Länder zu bereisen und sein Wissen zu erweitern – aber vor allem, um sein gebrochenes Herz zu heilen. Er begegnet anderen Kulturen, Religionen und Menschen und lernt sich selbst dabei immer wieder neu kennen.

Meine Meinung:

Als im Rahmen meines Nebenfachs der Dozent für Arabistik über diesen Autor sprach, hörte ich nur mit halbem Ohr zu. Doch dann bemerkte ich, dass ich dieses Buch ohnehin auf der Wunschliste hatte und beschloss, dass nun die perfekte Zeit sei es zu lesen. Denn der Autor ist eine ziemlich interessante Person. Seine Romane unterhalten in erster Linie, kritisieren aber zwischen den Zeilen die Gesellschaft. Und wer denkt, dass dieses Buch (da 1983 verfasst) nicht aktuell sei, liegt absolut falsch. Ich war fasziniert davon, wie viel von dieser Geschichte auch auf unsere eigene Gesellschaft oder die Weltlage übertragbar ist. Denn Ibn Fattuma reist durch Länder, die es eigentlich nicht gibt – und in jedem dieser Länder gibt es Aspekte, die sich auf das unsere (oder andere) übertragen lassen. Und gleichzeitig sind sie aber so überspitzt und außergewöhnlich, dass man die unterschwellige Kritik nicht als böse auffasst. Denn man ist gut unterhalten, wundert und amüsiert sich über Andersartigkeiten und spürt viel mehr zwischen den Zeilen, dass hier sowohl Kritik an unseren Gesellschaften aber auch an der Denkweise des Hauptprotagonisten geübt wird.
Es war ein wenig schwierig, in das Buch reinzukommen. Machfus hat einen besonderen und schönen Schreibstil, aber er ist anders als der, den wir hier kennen. Das war gewöhnungsbedürftig, tat dem Buch aber keinerlei Abbruch. Auch die Art zu erzählen, mit Zeitsprüngen und manchmal sehr einfachen Sätzen, war etwas anderes, passte aber wunderbar zur Geschichte und vor allem zur Stimme von Ibn Fattuma, dessen Reisetagebuch das ja sein soll.
Hätte ich kein Hintergrundwissen über den Autor gehabt, wäre ich vermutlich ein wenig verwirrt gewesen. Denn manchmal fragte ich mich „Will er damit gerade wirklich Ibn Fattumas starre Denkweise kritisieren oder nicht?“ – vor allem bei Themen wie Frauen, Ehe, gleichgeschlechtliche Liebe, usw stellte es mir teilweise alle Nackenhaare auf, weil Ibn Fattuma so abfällige Kommentare vom Stapel ließ. Und nicht wirklich klar gemacht wurde, dass er seine Einstellung mal überdenken sollte, auch wenn Machfus das glaube ich damit ausdrücken wollte.

Wie ihr vielleicht merkt, ist es nicht so einfach dieses Buch sinnvoll und strukturiert zu besprechen. Das liegt daran, dass diese Geschichte mehrere Ebenen hat und jede dieser Ebenen muss durchdacht werden:
– Die oberflächliche, märchenhafte Erzählung der Reise
– Die erfundenen, anderen und überspitzten Kulturen, die die Realität widerspiegeln
– Anspielungen auf unsere und viele andere Gesellschaften.
– Sture Denkweisen, die sich nur bedingt verändern und die sich auf die unterschiedlichsten Themen beziehen.
– Die Ebene des erweiterten Horizonts
– Die Ebene des Krieges und Machtgeflechte.
– Die Ebene der Religionen
– Die Ebene der Familie und der Ehe.
– Die Ebene der „Weisen des Landes“.
– Die Ebene des Reisens, der Rastlosigkeit und des Fernwehs.
– Die Ebene des Zurück- und Loslassens, aber auch der Liebe.
– Die Ebene nach der Suche der Vollkommenheit, die nirgendwo existiert.
Vermutlich fehlen hier sogar noch Elemente, die mir nicht aufgefallen sind. Aber ich denke, ihr bekommt einen Eindruck wie komplex diese zunächst sehr einfach erscheinende Geschichte ist. Und weshalb sie mir vermutlich noch eine ganze Weile im Kopf herumgehen wird.

Egal, ob man außergewöhnliche Unterhaltung, eine märchenhafte Erzählung aus einem anderen Land, einen arabischen Klassiker oder Gesellschaftskritik sucht: In diesem Buch findet sich das alles und man kann es auf die unterschiedlichsten Art und Weisen lesen. Ich persönlich finde solche Bücher immer besonders gelungen, weil man sie so schnell nicht vergisst und sie bei erneuter Lektüre immer wieder neu entdeckt.
Zwar muss ich sagen, dass ich mir v.a. beim Thema Frauen deutlichere Kritik an Ibn Fattuma gewünscht hätte und auch mit dem Ende nicht so ganz zufrieden war, mich das Buch aber durch seine Komplexität, Vielschichtigkeit und Aktualität sehr beeindruckt hat. Es wird sicherlich nicht mein letztes Buch dieses Autors sein.

Märchenhaft, aktuell, anders – ein Buch, das einen noch lange nach dem Lesen beschäftigt

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Anmerkung: Dieses Buch ist ein Rezensionsexemplar des Unionsverlags – vielen Dank! :)
Anmerkung Nr. 2: Dies ist die Neuauflage von 2016, das Buch erschien auf Deutsch erstmals 2004

Nächstes Buch: Nach einer wahren Geschichte – Delphine de Vigan

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1 Kommentar

  • Antworten Lean In | Rezension - Tasmetu 21. November 2016 um 12:59

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