Kolumnen / Autorenleben

Alte Musik, neues Leben

Standard, 12. April 2016, Tasmetu,7010 Views0 Comments

„Du triffst immer meinen Geschmack“, meint meine Freundin und grinst breit über die Playlist, die ich ihr zusammengestellt habe. Und ich grinse, weil sie sich freut.

Seit ich denken kann habe ich selbst zusammengestellte Musik. Zuerst machte sie mein Vater für mich, dann (als ich meinen ersten Laptop bekam) machte ich sie selbst. Musik sammeln, Schätze rauspicken und Playlisten erstellen. Dann den Spaß auf CD brennen und die aktuelle Lieblingsmusik rauf und runter hören.
Heute habe ich einen monströsen Stapel an CDs, alle sind sie zu verschiedenen Zeiten entstanden und jede soll ein anderes Gefühl vermitteln. Die CD „Dirrrty Girls“ ist voller „Ihr könnt mich alle mal“-Musik. Die CD „Flying“ ist für das „Ich fühle mich so leicht als würde ich schweben“-Gefühl. Die „Blubber“-CD ist entspannende Popmusik für die Badewanne. Die „Die in your arms tonight“ CD ist für die „Ich will mal wieder richtig heulen“-Momente. Es gibt zu jedem Gefühl, zu jedem Ereignis in meinem Leben eine eigene CD, einen eigenen Soundtrack – und das über Jahre hinweg. Und für meine Freunde mache ich das auch wenn sie es sich wünschen.

Heute mache ich das nur noch bedingt. Jede Reise und jedes Buch bekommt eine eigene Spotify Playlist und auf dem iPod sind die Wiedergabelisten nach Stimmung bestückt. Die alten CDs verstauben und werden vergessen. Bis besagte Freundin sich wieder eine CD von mir wünschte. Gute Laune soll es sein. Für einen Neuanfang. 15 Minuten später habe ich 70 Titel für sie zusammengesucht, bei denen miese Laune keine Chance hat. Da ich sie seit vielen Jahren kenne weiß ich, welche Musik ihr gefällt und welche nicht. Und als ich die CD brennen will, fallen mir meine alten „Mixtapes“ in die Hände.

Ich erinnere mich, aber ich bin darüber hinweg

Meine Freundin staunt nicht schlecht als sie den riesigen Stapel sieht, dabei sind das noch nicht alle. Es sind Erinnerungsstücke aus weit über 10 Jahren meines Lebens. 10 Jahre in denen ich emotional und psychisch nicht immer bestens aufgestellt war. Viele der CDs haben einen traurigen oder wütenden Beigeschmack, doch es sind auch viele positive Sammlungen dabei. Ich muss im ersten Moment schmunzeln, denn nicht nur die CDs und ihre Musik haben mich in ebendiesen Jahren begleitet, sondern auch die Freundin die gerade neben mir steht.
Am nächsten Tag hole ich die CDs hervor und höre sie alle. Sie erinnern mich an das, was passiert ist. Aber auch daran, wie weit ich schon gekommen bin.

Heute tanze ich auf meine Trauertracks von damals

Keine einzige der CDs macht mich heute noch traurig. Egal wie traurig und melancholisch die Lieder sind, aber sie ziehen mich nicht runter. Normalerweise hat Musik bei mir die magische Fähigkeit meine Laune zu 90% zu beeinflussen. Gebt mir ein trauriges Lied und ich werde aus dem nichts traurig und gebt mir eine Sommerplaylist und ich tanze aufgedreht durch den Raum egal wie es mir vorher ging.

Hier ist es anders. Ich habe bereits so viele Tränen zu diesen Lieder vergossen, dass ich das Kaspische Meer damit hätte füllen können. Doch nach vielen Kämpfen und dem elendigen Immer-wieder-aufstehen sind die Gründe dieser Tränen Vergangenheit. Es gibt keinen Grund mehr deshalb traurig oder wütend zu werden. Ich bin ein anderer Mensch, mein Leben ist ein besseres geworden. Die CDs kommen mir vor wie aus einem anderen Universum. Aus einem schönen Universum.

Viele von ihnen sind in meiner dunkelsten Phase entstanden. Ich habe mit ihnen etwas schönes geschaffen, obwohl ich damals nicht einmal mehr an die Schönheit im Leben glaubte. Ich lächele und tanze, während ich mir diese CDs anhöre. Denn ich habe es da raus geschafft. Diese CDs sind nur ein Erinnerungsstück an etwas, das vergangen ist. Und das ist gut so.

Erinnerungen an ein neues Leben

Ich habe mir mit dieser beschissenen Phase einen Weg in ein neues Leben geebnet ohne es zu merken. Es mag keine frisch gemachte Autobahn mit Flüsterasphalt sein, aber es ist ein Weg. Durch den Wald, durch die Felder und Berge und Täler. Der längere Weg mit der schöneren Aussicht, wie man so schön sagt.

Als überflüssigen Ballast habe ich meine Erinnerungen abgeworfen. Nachdem ich sie alle bis zur Ermüdung zerdacht habe, habe ich sie in eine Kiste gesperrt und da dürfen sie nun ruhen. Sie beeinflussen mich bis heute, aber nur unterbewusst. Nicht mehr direkt. Und genauso machen es die materiellen Erinnerungen. Viele, sehr viele, von ihnen habe ich entsorgt. Erinnerungsstücke von Exfreunden, falschen Freunden und anderen Wegbegleitern habe ich weggeschmissen.

Aus meinem alten Leben gibt es nur noch wenige Dinge, die ich behalten habe. Eines davon sind meine eigenen CDs. Sie erinnern mich nicht unbedingt an bestimmte Personen sondern nur an mich und wie ich damals war. Und wie ich nie wieder sein will. Wie viel ich gegeben habe, um neu anzufangen. Und wie wunderbar mir das gelungen ist.

Welche Erinnerungsstücke machen euch glücklich? Beeinflusst euch Musik genauso sehr wie mich?

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