Kolumnen / Autorenleben

Das Gegenteil von Anmut

Standard, 11. Februar 2016, Tasmetu,9830 Views11 Comments

Wenn es ein Gegenteil-Wörterbuch gäbe, würde mein Bild groß und unschön neben dem Wort Anmut, das in einer filigranen und eleganten Handschrift auf der Seite Ballett tanzt, pranken.

Ich bin nicht anmutig. Oh nein. Ich bin auch nicht elegant. Ich bin kein einziges Adjektiv, das hochgestochen klingt und das Menschen benutzen würden, die sich selbst als eloquent bezeichnen, um anderen zu schmeicheln.

Und das nervt. Natürlich nervt es. Wollen wir nicht alle in Wahrheit Prinzessinen sein? Ja, auch die Männer? Mit der Seele eines Kriegers der niemals aufgibt und seine Ziele verfolgt, im Körper einer feinen Prinzessin, die in wunderschöne Kleider gehüllt ist und all ihre Wünsche auf dem Silbertablett präsentiert kriegt. Der alle hinterhersehen, wenn sie durch den Raum schreitet wie auf einer Wolke. Deren Gesicht sich in die Erinnerungen einbrennt, weil es so einmalig und wunderschön ist. Die perfekt ist. Und immer noch eine Person mit individuellen Charakterzügen, die eines Tages Geschichte schreibt.

Ich war nie ein großer Prinzessinnen Fan. Auch Pferde mag ich nicht sonderlich. Ich habe viele Puzzle gelöst, noch mehr Bücher gelesen und geschrieben und erzählt und irgendwelchen Unfug gemacht. Nein, eine Prinzessin war ich nie und werde ich auch nie sein.

Ich will alles sein

Aber ich wäre es gerne. Obwohl es mir überhaupt nicht entspricht. Ich wäre manchmal gerne elegant, anmutig, eloquent und eben die Person, nach der sich alle umdrehen weil sie das gewisse Etwas hat. Und mit dem gewissen Etwas meine ich nicht Körpergeruch oder Speckrollen, sondern besagte Anmut und ein strahlendes Selbstbewusstsein.

Ich bin nur die, die in der Sbahn liest. Da dreht sich niemand nach mir um. Ich gehe vorbei und schon haben sie mein Gesicht wieder vergessen. Das Maximum an Gedanken, dass den anderen durch Kopf geht, ist vielleicht ein Kommentar zu meiner roten Brille oder meinen hellen Haaren.

Manchmal stelle ich mir vor, wie ich eine große Treppe in einem wunderschönen Kleid hinabsteige und alle die Luft anhalten. In Wahrheit würde ich vermutlich eher die Treppe runterfallen.

Ich weiß überhaupt nicht, warum ich mir solche Dinge wünsche. Man kann nicht alles sein. Ich mag nicht anmutig und elegant sein, aber ich bin vieles anderes. Ich kann gut zuhören, ich kann schreiben, mir eine ganze Menge Dinge ausdenken, ich weiß viel mehr über die unterschiedlichsten Dinge, als es mir die meisten Leute zutrauen würden. Ich bin mutig, zumindest wenn es um meine Haare und meine Brille geht. Ich bin mutig, wenn es um die kleinen Dinge des Lebens geht. Ich bin stark, auch wenn ich manchmal nichts aushalten kann. Ich bin kreativ und versuche immer nett zu allen Menschen zu sein. Ich bin ein Jemand, ich habe eine Persönlichkeit und eigentlich ist diese Persönlichkeit bereits Gold wert.

Wenn ich diese blöde Treppe mit meinem schönen Kleid, das mir die Luft zum Atmen und das Hirn zum Denken raubt, runterfalle, sehe ich vielleicht dämlich aus und jeder um mich herum wird sich verhalten die Hand vor den Mund halten, kichern und sich das Maul darüber zerreißen. Ich bin tollpatschig, nicht elegant, unfähig und offenbar sogar zu dumm zum Gehen. Doch was sie nicht sehen, ist dass ich wieder aufstehe und weitergehe. Obwohl mir alles wehtut. Und obwohl ich höre, was sie sagen.

Ich bin nicht anmutig. Ich bin so viel mehr.

Ich will nur perfekt sein, weil andere es von mir erwarten. Weil andere ihre eigene Unsicherheit und ihre eigenen Fehler hinter Worten verstecken, die andere nieder machen. Ich fühle mich schlecht, weil sie mir sagen, ich sei nicht gut genug.

Doch sie sind es genauso wenig.

Ich bin mehr als genug. Jeder ist mehr als genug.

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11 Kommentare

  • Antworten Tinka 11. Februar 2016 um 13:09

    Ein schöner Beitrag :)

    Liebe Grüße, Tinka

  • Antworten Fraencis Daencis 11. Februar 2016 um 14:05

    Hach, wieder einmal ein wunderbarer Text, in dem ich mich so gut wiedererkennen kann! Danke <3

  • Antworten Anne 13. Februar 2016 um 13:12

    Huhu,
    als ich meinen Eltern mal vorschlug, mich zum Ballett anzumelden, brachen sie in das lauteste Gelächter ever aus und machten Witze über „den trampelnden Elefanten“, der ich bin. Bis heute war ich kein einziges Mal beim Ballett und bis heute hätte ich Lust, es zu probieren. Aber als Trampeltier?
    Ich weiß ngenau, was Du meinst. Toller Beitrag!
    liebste Grüße, Anne

    • Antworten Tasmetu 17. Februar 2016 um 19:38

      Liebe Anne,

      dann mach Ballett! DO IT!!!!! Was kann schon schief gehen? :)

      Danke dir!

      Liebe Grüße
      Tasmin

  • Antworten DJH 15. Februar 2016 um 23:54

    Liebe Tassi :)
    ich habe im Lauf der Zeit tatsächlich schätzen gelernt, unauffällig zu sein. Ist man auffällig, so wird man von den meisten Leuten sofort beurteilt: Der erste Blick entscheidet, in welche Schublade man gesteckt wird. Auffällig zu sein bedeutet im Endeffekt, ständig Erwartungen von wildfremden Menschen ausgesetzt zu sein. Man kann dann versuchen, den Erwartungen zu entsprechen, manche schaffen das, andere scheitern daran. Oder man kümmert sich nicht um Erwartungen von Menschen, die einem nichts bedeuten – was schwieriger ist, als es klingt.
    Wenn du unauffällig bist, bist du eigentlich in einer komfortablen Situation: Du kannst zunächst die Lage beobachten, dir Schlüsse daraus ziehen – am Ende gehst du aktiv auf Menschen zu, die noch kein Bild (also keine Vorurteile) von dir haben, und kannst dich ihnen so vorstellen, wie du wirklich bist. Du musst dich nicht mit falschen Erwartungen von Menschen, die du nicht kennst, herumschlagen. Du bist als Unauffällige der Herr (bzw. die Frau ;) ) der Lage.
    Natürlich ist es auch mal nervig, ständig selbst auf andere zugehen zu müssen – du kannst dir jedoch aussuchen, wem du im Gedächtnis bleiben willst, und wem nicht. Und wie du selbst schon richtig angemerkt hast: Dein Äußeres mag vielleicht „beliebig“ scheinen – dein Charakter ist es nicht.
    Liebe Grüße,
    Daniel :)

    • Antworten Tasmetu 17. Februar 2016 um 19:57

      Lieber Daniel,

      vielen Dank für deinen lieben Kommentar. Klar hast du damit recht, es ist quasi die positive Ansicht auf das Unauffällig sein. :)

      Liebe Grüße
      Tasmin

  • Antworten Jacky 29. Februar 2016 um 17:51

    Hej Tasmin,
    warum ich mir gerade den Beitrag auf Deinem Blog als ersten durchgelesen habe, weiß ich auch nicht. Vielleicht, weil Überschrift und Teaser so provokativ sind. Und: weil natürlich jeder sich darin wiedererkennt. Ich glaube, selbst das hochbezahlteste Modell ist ab und an unsicher und versteckt sich hinter einer Maske. Das passiert jedem. Auch mir. Ich finde mich zu burschikos, zu sportlich, zu wenig schick und weiblich. Da kann die bessere Hälfte noch so viel sagen, wie sie will. Das kommt nur langsam an.
    Aber:
    Solange man weiß, wer man ist, was man kann und vor allem auch, was man wert ist, sind solche Unsicherheiten okay. Nicht jeder ist dazu geboren, von Geburt an ein Diamant zu sein. Manche Diamanten verstecken sich. Unbeabsichtigt. Unbeabsichtigt. Ungesehen von der Masse der Menschen. Doch es gibt immer einige wenige, die den Diamanten im schwarzen Kohlestück glitzern sehen. Und auf die kommt es an. Nicht auf die Masse. Auf die Freunde und lieben Menschen, die selbst kleine Diamanten sind. In Deinen Augen.
    Nicht unterkriegen lassen!
    LG
    Jacky

    • Antworten Tasmetu 29. Februar 2016 um 20:29

      Liebe Jacky,

      vielen vielen Dank für deinen Kommentar, er freut mich sehr :) Und ich kann dir nur zustimmen. Ich wünschte ich hätte so schöne abschließende Worte gefunden als ich den Beitrag getippt habe :)

      Liebe Grüße
      Tasmin

  • Antworten Februar 2016 | Monatsrückblick - Tasmetu 8. März 2016 um 7:37

    […] Meine Kolumne über das „nicht gut genug sein„: Das Gegenteil von Anmut […]

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